agbau_03.2022

In Kooperation mit: 03 | 2022 Arbeitssicherheit I Gesundheit I Koordination Ursachen von Arbeitsunfällen

Personenauffangnetze • Sicherheitsnetze • Schutznetze Persönliche Ausrüstung gegen Absturz • Erste-Hilfe-Box Schulung Höhenrettung nach DGUV 112-198/199 Bundesweiter Verkauf, Vermietung und Montage von Gerüstschutznetzen, Gerüstschutzplanen, Kederplanen, Personenauffangnetzen. rkplanen.de info@rkplanen.de Hamburg | Dormagen | Mörfelden | Langenpreising | Wels (A) Höchste Qualität zur Unfallverhütung

Beate Bernheine Markus Hüger 3 Editorial I Inhalt Sehr geehrte Leserinnen und Leser, Unfallgefahren sind auf Baustellen besonders hoch. Bereits eingetretene Unfallereignisse lassen sich mit Hilfe eines Erklärungsmodells für das Entstehen von Unfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen nachvollziehen und können weitere Prävention möglich machen. Das wissenschaf tliche Unfallmodell wird im Titelbericht dieser Ausgabe erklärt. Die entsprechenden sicherheitstechnischen Maßnahmen und die Zusammenhänge zwischen Unfallmodell und Maßnahmenhierarchie werden in der nächsten Ausgabe dargestellt. Ihr Team von agbau Impressum: Verlag fachverlag bernheine UG (haftungsbeschränkt) Postfach 210625 I 41432 Neuss Tel. +49 2137 932248 I Fax +49 2137 932247 www.bernheine-medien.de info@bernheine-medien.de Verlagsleitung Beate Bernheine Anzeigenleitung Markus Hüger Erscheinungsweise fünfmal jährlich Layout Maritta Müller Titelfoto Thomas Engels, Mplus Akademie Copyright fachverlag bernheine UG; Alle Rechte vorbehalten. Die Redakteur*innen der einzelnen Artikel sind für ihre Inhalte selbst verantwortlich. Kürzungen vorbehalten. 4 Titelthema Die Entstehung von Arbeitsunfällen 9 Arbeitssicherheit Sichere Arbeitsstellen im Straßenverkehr 12 Arbeitssicherheit Was machen Sicherheitsbeauftrage am Bau? 16 Recht Koordination zwischen Praxis und Recht 23 Meldungen 26 Termine 28 Weiterbildung Unternehmenskultur: Arbeitssicherheit 31 Veranstaltungen Arbeitsschutz aktuell 32 Veranstaltungen bauma 2022 34 Produktinformationen 45 Verband der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinatoren: Verbandsnachrichten (VSGK) 46 Bundesverband Deutscher Baukoordinatoren: Verbandsnachrichten (BDK) Nächste Ausgabe: 17.11.2022

4 Titelthema Die Entstehung von Arbeitsunfällen Teil 1: Das Unfallmodell Viele Faktoren tragen zum Eintritt eines Unfallereignisses oder einer arbeitsbedingten Erkrankung bei. Teilweise sind die Faktoren unbedingte Voraussetzung für das Eintreten, teilweise begünstigen sie aber auch nur das Entstehen einer gefährlichen Situation oder tragen zu einer Entwicklung einer arbeitsbedingten Erkrankung bei. Dieser Bericht soll anhand eines wissenschaftlichen Modells zeigen, wie Unfälle oder arbeitsbedingte Erkrankungen entstehen. In der kommenden Ausgabe werden hierzu sicherheitstechnische Maßnahmen beschrieben und die Zusammenhänge zwischen dem Unfallmodell und der Maßnahmenhierarchie dargestellt. Die Entstehung von Unfällen kann sowohl präventiv, als auch retrospektiv mit Hilfe eines Modells zur Unfallentstehung betrachtet werden. Im Zentrum der Betrachtungen stehen dabei jeweils der Mensch und die Gefahrenquelle. D. h. das Vorhandensein einer Gefahrenquelle mit verletzungsbewirkenden Faktoren ist unbedingte Voraussetzung für den Eintritt eines Gesundheitsschadens. Die Abbildung 11 (Seite 6)dient als Erklärungsmodell für das Entstehen von Unfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen . Zur Erläuterung: Der Mensch Zentrum jeder Betrachtung ist immer der Mensch mit seinen individuellen Leistungsvoraussetzungen. Diese Leistungsvoraussetzungen ergeben sich aus der Leistungsfähigkeit und der Leistungsbereitschaft der 1 vgl. Selbstlern-DVD der Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit; Selbstlernphase 1-3 sowie Praktikumshilfe; Version 6.0 (Mai 2010) Hrsg: DGUV Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung Spitzenverband, 10117 Berlin und BAuA Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 44145 Dortmund; Berlin 2010; S.16 Bild 6 Foto: Dr.-Ing. Thomas Dudek

5 Titelthema jeweiligen Person. Sie sind somit nicht konstant und von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Die Leistungsfähigkeit wird hierbei von habituellen (langfristigen) Faktoren, wie z. B. dem Alter, der Größe, dem Geschlecht, dem Trainingszustand oder dem Gewicht, beeinflusst. Die Leistungsbereitschaft hingegen, wird von situativen (kurzfristigen) Faktoren bestimmt. Diese können z. B. Motivation, Tagesform, Ermüdung, Stimmungslage, Übung oder die Arbeitsbedingungen sein. Zusätzlich können variable Faktoren, wie die gesundheitliche Verfassung oder der Biorhythmus, auf die individuellen Leistungsvoraussetzungen wirken. Die Gefahrenquelle Die Gefahrenquelle kennzeichnet den Ausgangsort, an welchem die Gefahr entsteht. Sie ist ausschlaggebend für die Entstehung der Gefährdung. D.h. würde man die Gefahrenquelle eliminieren, könnte keine Gefährdung entstehen. Im Zuge einer Gefährdungsermittlung ist die Feststellung der Gefahrenquelle von großer Bedeutung, da die Gefahrenquellen immer den ersten Ansatzpunkt für die Beseitigung der Gefährdung darstellen. Beispiel für eine Gefahrenquelle: Die Höhe eines Daches. Die Gefährdungsfaktoren Gefährdungsfaktoren können verletzungsbewirkende oder krankheitsbewirkende Faktoren sein. Sie sind latent vorhanden und können entsprechend ihrer Eigenschaften unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Gefährdung führen. Eine Einteilung der Gefährdungsfaktoren in Gefährdungsgruppen und einen Überblick über die wichtigsten unfall- oder krankheitsbewirkenden Faktoren zeigen die inzwischen zurückgezogenen Informationsschriften BGI/ GUV-I 8700 bzw. DGUV I 211-032. Anzeige Warum Rahmen- und Modulgerüst, wenn es auch einfacher geht? Mit PERI UP – dem Gerüstbaukasten, der mit wenigen Bauteilen fast alles kann. www.peri.de/geruestbaukasten Schalung Gerüst Engineering Ganz schön was im Kasten. Weniger ist meist mehr. www.peri.de

6 Titelthema Beispiel für Gefährdungsfaktoren: Mechanische Faktoren, wie z. B. Teile mit gefährlichen Oberflächen oder unkontrolliert bewegte Teile, oder Gefahrstoffe, wie z.B. Gase oder Dämpfe. Gefahrbringende Bedingungen Erst das Zusammentreffen vom Menschen mit der Gefahrenquelle und den Gefährdungsfaktoren kann zu einer Gefährdung führen. Gefahrbringende Bedingungen sind Gegebenheiten, die ein Zusammentref fen von Mensch und Gefahrenquelle ermöglichen bzw. nicht oder nicht hinreichend verhindern. Gefahrbringende Bedingungen können durch fehlende Möglichkeiten (z. B. fehlender Seitenschutz) oder durch nicht hinreichend wirksame Einrichtungen (z. B. Unterdimensionierung einer Absauganlage, ungenügende Abmessungen einer Abschirmung) entstehen. Sie können aber auch durch mangelhafte zeitliche bzw. organisatorische Maßnahmen (Arbeitsabläufe, Arbeitsteilung, etc.) hervorgerufen werden. Gefahrbringende Bedingungen resultieren somit aus technischen und/oder organisatorischen Mängeln oder entstehen durch unzureichende Eigenschaften bezüglich des bestimmungsgemäßen Einsatz- oder Verwendungszwecks. Es sind Bedingungen im Rahmen eines Arbeitssystems, die im Allgemeinen vorausschauend erkannt werden können. ImGegensatz zu den Begünstigenden Bedingungen (siehe Seite 7) sind sie vorhersehbar. Mögliche außerberufliche Einflüsse Außerberufliche Einflüsse können positive oder negative Einflüsse auf die Leistungsvoraussetzungen des Menschen und damit auf eine Unfall- oder Gesundheitsgefährdung haben. Sie können weiterhin die Schwere Möglichkeit des Zusammentreffens Wirksamwerden der Gefährdung Gefahrbringende Bedingungen Begünstigende Bedingungen Mögliche außerberufliche Einflüsse Gefahrenquellen, Gefährdungsfaktoren Verletzungsbewirkender Faktor Krankheitsbewirkender Faktor Gefährdung Unfallgefährdung Gesundheitsgefährdung Gesundheitsschaden Verletzung (Unfall) Arbeitsbedingte Erkrankung Menschen Beschäftigter mit seinen Leistungsvoraussetzungen Abb. 1: Erklärungsmodell für das Entstehen von Unfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen

7 Titelthema einer Gesundheitsgefährdung maßgeblich beeinträchtigen. So können z. B. private Probleme die Aufmerksamkeit eines Menschen empfindlich beeinträchtigen und nachlässiges Handeln nach sich ziehen. Gefährdung Eine Gefährdung kann sowohl eine Unfall- als auch eine Gesundheitsgefährdung sein. Erst durch das zeitliche und/oder räumliche Zusammentreffen des Menschen mit seinen individuellen Leistungsvoraussetzungen und der Gefahrenquelle mit den Gefährdungsfaktoren kann ein Zustand mit der Möglichkeit des Eintrittes eines Gesundheitsschadens eintreten. Eine Gefährdung liegt also erst dann vor, wenn die genannten Faktoren zeitlich und/oder räumlich zusammentref fen. Eine Gefährdung stellt jedoch zunächst nur den Zustand oder die Situation dar, in welchem die Möglichkeit des Eintretens eines Gesundheitsschadens entsteht. Eine Schädigung ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhanden. Erst das Wirksamwerden der Gefährdung führt zu einem Gesundheitsschaden (Unfall oder Arbeitsbedingte Erkrankung). Begünstigende Bedingungen Begünstigende Bedingungen sind Bedingungen, die grundsätzlich nicht vorhersehbar sind. Es sind Situationen, Ereignisse oder Zustände, die einen Einfluss auf das Wirksamwerden einer Gefährdung, und damit zu einer Schädigung der Gesundheit, haben können. Begünstigende Bedingungen können z. B technische Störungen, sich ändernde Witterungsbedingungen, Ausfälle, Mängel bei Organisationsabläufen etc. sein. Zusammenfassend lässt sich festhalten: • Unfälle sind auf Ursachen, die in der Arbeitssituation vorhanden sind, zurückzuführen • Unfälle resultieren aus: • dem Zusammentreffen (zeitlich/räumlich) des Menschen mit seinen individuellen Leistungsvoraussetzungen mit Anzeige Die Zukunft gehört dem Stiel. Einfach Easy das Original. Flexible Einrüstungen mit dem Easy Stiel. Die Bauwerksgeometrie von Gebäuden unterscheidet sich meist stark. Ob Arbeits- oder Schutzgerüst – mit dem Easy Stiel sind Sie für den Baualltag im Fassaden- gerüstbau optimal vorbereitet. www.peri.de/easystiel www.peri.de Schalung Gerüst Engineering

8 Titelthema einer Gefahrenquelle und den von ihr ausgehenden Gefährdungsfaktoren. • gefahrbringenden Bedingungen, die zu einer Gefährdung führen, und • begünstigenden Bedingungen, die zum Wirksamwerden einer Gefährdung hinzutreten. • Unfällen oder Erkrankungen liegen verletzungs- oder erkrankungsbedingte Faktoren zugrunde. Mit Hilfe des Erklärungsmodells für das Entstehen von Unfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen können Unfall- und Gesundheitsgefährdungen systematisch und präventiv erfasst werden. Bei erkannten Gefährdungen ist ein rechtzeitiges Eingreifen zur Verhinderung einer Gesundheitsschädigung möglich. Die wirksamsten Methoden zur Verhinderung einer Schädigung liegen in der Vermeidung der Gefahrenquellen bzw. in der Vermeidung der verletzungs- oder krankheitsbewirkenden Faktoren. Bereits eingetretene Unfallereignisse oder Beinahe-Unfälle lassen sich mit Hilfe des Erklärungsmodells nachvollziehen und erlauben präventives Handeln zur Vorbeugung weiterer schädigender Ereignisse. Folgende Erkenntnisse lassen sich somit aus dem Modell ableiten: • Unfall- oder Gesundheitsgefährdungen sind bereits vor Eintritt des Schadensereignisses vorhanden. • Bei bestehenden Gefährdungen ist latent immer die Möglichkeit des Eintritts einer Gesundheitsschädigung möglich. Gefährdungen sind unabhängig von ihrem Wirksamwerden erkennbar. • Unfallgefährdungen (verletzungs- oder krankheitsbewirkende Faktoren sowie gefahrbringende Bedingungen) sind unabhängig vom Auftreten eines Unfallereignisses erkennbar – somit ist präventives Handeln möglich. • Das Erkennen der Unfallgefährdung ist Voraussetzung für die vorausschauende Vermeidung von Unfällen oder arbeitsbedingten Erkrankungen. In der folgenden Ausgabe wird die Maßnahmenhierarchie erläutert und dargelegt, welcher Zusammenhang zwischen der Maßnahmenhierarchie und dem Unfallmodell besteht. → Der Autor Dr.-Ing. Thomas Dudek ist seit 2005 Inhaber des Ingenieurbüro Dudek in 57489 Drolshagen. Das Team des Ingenieurbüros hat seit seiner Gründung mehr als 1.000 Projekte im Bereich des Arbeitsschutzes begleitet. Neben zahlreichen Fachpublikationen ist er Co-Autor des Praxis Handbuch SiGeKo und Verfasser des 7. Bandes der Schriftenreihe des VSGK. Als Referent ist er bei verschiedenen Fachveranstaltungen (u. a. beim Bundeskoordinatorentag in Berlin oder bei Fachtagungen des VSGK) in den Bereichen Arbeitsschutz oder Digitalisierung im Bauwesen regelmäßig anzutreffen. → Weitere Informationen Dr.-Ing. Thomas Dudek • Ingenieurbüro Dudek In der Trift 1 • 57489 Drolshagen Kontakt: dudek@ib-dudek.com

9 Arbeitssicherheit Sichere Arbeitsstellen im Straßenverkehr „Gefahr erkannt“ – oder doch eher „Gefahr verkannt?“ Diese Abwandlung des alten, bekannten aber keinesfalls veralteten Slogans der Unfallversicherungsträger kommt einem Betrachter von Arbeitsstellen an Straßen schnell in den Kopf, wenn man sich vielerorts die Sicherungsmaßnahmen an Baustellen ansieht. Obwohl schon auf den ersten Blick erkennbar „falsch“ gehandelt wurde, ist nicht immer klar, wo das Problem unzureichender Absicherung liegt. Handelt es sich um Fehler des Bauunternehmens und seiner Mitarbeiter*innen, handelt es sich um Fehler bei der Beantragung der zugrunde liegenden verkehrsrechtlichen Anordnung (VRA) oder handelt es sich um Fehler bei der Anordnung selbst? Auf den erwähnten ersten Blick ist das nicht immer zu erkennen, lautet doch der Grundsatz „Es ist darauf zu achten, dass die Absicherung der Arbeitsstelle an Straßen dem Wortlaut der verkehrsrechtlichen Anordnung entspricht“. Um also die Frage zu beantworten, muss zunächst die Anordnung selbst eingesehen werden. Hier zeigt sich, dass aufgrund unterschiedlicher Interessen der Beteiligten unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden (Behinderung des fließenden Verkehrs, Beeinträchtigung der Anwohnerinteressen, Arbeitssicherheit, Rechtskonformität). Das ist schwer zu verstehen, gibt es doch endlich wieder aktuelle (aktualisierte) Beschreibungen des Stands der Technik, die die Vermutungswirkung begründen, die geforderten Anträge gestellt, die richtigen Entscheidungen getroffen und die korrekte Umsetzung der Vorgaben durchgeführt zu haben. Die technische Regel für Arbeitsstätten „Anforderungen an Arbeitsplätze und Verkehrswege auf Baustellen im Grenzbereich zum Straßenverkehr“ (ASR A5.2, in Kraf t gesetzt im Dezember 2018) und die Richtlinien für die verkehrsrechtliche Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA 21, bekannt gegeben mit der Bitte um Einführung im November 2021) sind lange, ausführlich und in vielen Fällen auch kontrovers diskutiert worden, bevor sie mit den jetzt jeweils vorliegenden Texten veröffentlicht wurden. Über all die juristischen Klippen, die vor dem In-Kraft-Treten umschifft werden mussten, soll an dieser Stelle nicht berichtet werden. Fotos: Thomas Engels

Zunächst einmal ist zu betrachten, dass zwei verschiedene Rechtsbereiche – beide befassen sich mit der Sicherheit – vom Regelwerk betroffen sind. Auf der einen Seite geht es um die Verkehrssicherheit, auf der anderen Seite um die Arbeitssicherheit. Die durch die Verkehrssicherheit bedingten Anforderungen werden in der Straßenverkehrsordnung (StVO), der Verwaltungsverordnung zur StVO und in den RSA 21 beschrieben, Vorgaben zur Arbeitssicherheit lassen sich ableiten aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), der Baustellenverordnung (BaustellV), der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und der ASR A5.2. Verkehrssicherheit Es finden sich in der RSA 21 eindeutige Vorgaben zur Planung der Arbeitsstellen an Straßen. Die Verkehrsabwicklung soll durch die Tätigkeiten so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. So ist z. B. im Vorfeld zu prüfen, ob an verkehrsreichen Straßen die Arbeiten in verkehrsarmen Zeiten durchgeführt werden können, auch wenn sich dadurch Arbeitsstellen längerer Dauer (AlD) nicht vermeiden lassen. Diese Arbeitsstellen sind dann der Gefährdung entsprechend zu sichern und zusätzlich zu beleuchten. Außerdem sind schon in der Planungsphase die Straßenverkehrsbehörde, die Polizei, die Feuerwehr, sowie Betreiber von Linienverkehren des ÖPNV zu beteiligen, um eine bessere Kommunikation und Koordination sicherzustellen. Die Belange von Anliegern betroffener Straßen (vor allem von Gewerbetreibenden) sind zu berücksichtigen, ebenso die von Fußgängern, wobei besonders auf Bedürfnisse von behinderten Menschen zu achten ist. Dazu ist der Verkehr an der Arbeitsstelle den örtlichen Begebenheiten angepasst zu lenken, umzuleiten, zu beschränken oder zu verbieten. Da es sich hier umwesentliche regelnde Eingriffe in den Verkehrsablauf handelt (oder handeln kann), ist eine ausreichende Qualifikation der Verantwortlichen zwingende Voraussetzung. Darüber informiert das schon seit 1999 geltende Merkblatt über die Rahmenbedingungen für die erforderlichen Fachkenntnisse zur Verkehrssicherung an Arbeitsstellen an Straßen (MVAS 99). Diese Kompetenz wird jetzt explizit verlangt, die anordnende Behörde darf nur bei Arbeiten mit geringen verkehrlichen Auswirkungen Ausnahmen davon zulassen. Die RSA 21 beschreibt außerdem ausführlich die notwendigen Verkehrszeichen, deren Auf10 Arbeitssicherheit

stellungsgrundsätze, die Beschaffenheit von Absperr- und Signaleinrichtungen, Sicherheitskennzeichnung von Sonderrechtsfahrzeugen, Warnkleidung von Personen, die im Gefahrenbereich arbeiten, sowie Vorgaben zur Verkehrsführung und zu Umleitungen. Für Straßen im Innerortsbereich, Landstraßen und Autobahnen finden sich in gesonderten Kapiteln alle notwendigen Erklärungen über Arbeitsstellen kürzerer und längerer Dauer (AkD, AlD), jeweils ergänzt um Regelpläne, die das Antragsverfahren verkehrsrechtlicher Anordnungen vereinfachen und systematisieren sollen. Die Regelpläne wurden mit der überarbeiteten Neuauflage der RSA ebenfalls aktualisiert und an die Anforderungen angepasst. Arbeitssicherheit Die wichtigsten Aspekte der Arbeitssicherheit sind der Technischen Regel ASR A5.2 zu entnehmen. Hier geht es ganz wesentlich um Sicherheitsabstände, die zum Schutz der Mitarbeiter*innen auf Arbeitsstellen an Straßen bereitgestellt werden müssen. Leider zeigen Begehungen von Baustellen, dass in vielen Fällen (selbst auf Autobahnen) diese freien Flächen keineswegs eingehalten und zur Verfügung gestellt werden. Der erforderliche Platzbedarf für Arbeitsplätze und Verkehrswege auf Straßenbaustellen, Sicherheitsabstände und technische Schutzmaßnahmen ist zu ermitteln und bereitzustellen. Dieser Platzbedarf ist abhängig von den auszuführenden Tätigkeiten und den eingesetzten Arbeitsmitteln. Dabei sind Platzbedarfe z. B. für freie Bewegungsflächen für Beschäftigte zu berücksichtigen. Die Arbeitsplatzbreite beträgt in der Regel mindestens 80 cm. Lehnt sich ein Maschinenführer arbeitsbedingt aus seinem Fahrerhaus / Bedienstand heraus, werden hierfür mindestens 40 cm (zusätzlich) bemessen. An die Mindestbreite des Arbeitsplatzes schließt der seitliche Sicherheitsabstand an. Dieser beträgt innerorts mindestens 30 cm, er verbreitert sich auf Autobahnen je nach eingesetzter Sicherungseinrichtung auf 110 bis 130 cm. Die Konsequenz dieser Vorgaben ist leicht erkennbar. Viele Instandhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen an Straßen können, wenn korrekt gearbeitet wird, nur mit Sperrungen von Straßen durchgeführt werden. Wenn auch die Einschränkung des Verkehrs dadurch sichtbarer wird und gegebenenfalls auch Mehraufwand für Einzelne entsteht, gewinnen diese Arbeiten an Sicherheit. Und das ist mit Sicherheit gut. Bei der Planung gilt es auch zu bedenken (und als möglicher Vorteil zu erkennen), dass Arbeiten im ordnungsgemäß abgesperr ten und so gesicher ten Bereich schneller durchgeführt werden können als in durch Platzmangel beschränkten Verfahren. Fazit So kompliziert, wie es im ersten Moment erscheint, ist es doch gar nicht. Und wenn alle Beteiligten es dann auch noch einfach richtig machen, gilt wieder: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Thomas Engels, Dozent der Mplus Akademie in Sankt Augustin 11 Arbeitssicherheit

12 Arbeitssicherheit Wichtige Unterstützung Was machen Sicherheitsbeauftragte am Bau? Die rechtliche Verantwortung für die Arbeitssicherheit sowie die Durchführung von Maßnahmen, um Unfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhindern, liegen beim/bei der Unternehmer*in. Die Aufgabe von Sicherheitsbeauftragten ist es, diese dabei ehrenamtlich zu beraten, Mängel und Unfallgefahren zu melden und Verbesserungen anzuregen. Der auf Baustellen oft übliche Termindruck kann es notwendig werden lassen, dass Beschäftige dort improvisieren müssen. Insgesamt ist im Bau das Risiko für einen Arbeitsunfall erheblich höher und Arbeitsunfälle sind auch oft schwerwiegender als bei grob vergleichbaren Arbeiten in einer geschlossenen Werkstatt. Jedes Jahr verunglücken Beschäftigte auf deutschen Baustellen auch tödlich. Die täglich neuen Witterungsbedingungen, der Baustellenverkehr, unterschiedliche Unternehmen und unterschiedliche Arten von Handwerker*innen vor Ort tragen ihren Teil bei zu diesem hohen Risiko. Sicherheitsbeauftragte am Bau sollen die Gefahren und das Risiko reduzieren. Die Aufgaben von Sicherheitsbeauftragten (SiBe) am Bau Sicherheitsbeauftragte (SiBe) haben mehrere Aufgaben im Unternehmen und auf der Baustelle. Ziel aller Aufgaben ist es, die Gefahren am Bau zu reduzieren und die Arbeit insgesamt sicherer zu machen. Damit unterstützen Sicherheitsbeauftragte Arbeitgeber*innen wesentlich in Sachen Unfall- und Schadenvermeidung. Sie genießen eine besondere Vertrauensstellung und letztlich auch eine stärkere Arbeitsplatzsicherung. SiBe nehmen regelmäßig an Schulungen und Fortbildungen teil und verfügen neben meist langjähriger Erfahrung am Bau auch über Fachkenntnisse im Arbeitsschutz auf Baustellen. Zu den Aufgaben zählen unter anderem: • darauf zu achten, dass Schutzeinrichtungen und persönliche Schutzausrüstungen vorhanden sind und bei der täglichen Arbeit benutzt werden, • zu prüfen, ob die Schutzeinrichtungen und -ausrüstungen in gutem Zustand sind, • an den regelmäßigen Betriebsbegehungen und den Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses teilzunehmen, • Untersuchungen von Unfallursachen zu unterstützen, • ihre Kolleg*innen im Arbeitsschutz zu unterstützen und ihnen bei den täglichen Aufgaben und Fragen weiterzuhelfen, • ihre Kolleg*innen proaktiv über den sicheren Umgang mit Stoffen und Maschinen zu informieren, • neue Mitarbeiter*innen in die Örtlichkeiten und Vorgaben einzuführen, • kleine Mängel selbst zu beseitigen und • sonstige Mängel in puncto Sicherheit an die Vorgesetzten zumelden. Sicherheitsvorgaben am Bau Am Bau gelten wie für jedes Unternehmen die allgemeinen Sicherheitsvorgaben zur

13 Arbeitssicherheit Verhinderung von Arbeitsunfällen und zur Vermeidung von Berufskrankheiten. Darüber hinaus gelten die Vorgaben aus der DGUV-Vorschrift 38, der Unfallverhütungsvorschrift Bauarbeiten. In ihr wird beispielsweise vorgegeben, dass nicht gleichzeitig auf mehreren Stockwerken übereinander gebaut werden darf, wenn die unteren Stockwerke nicht ausreichend gegen herabfallende oder umstürzende Gegenstände und Massen gesichert sind. So ist das Hinabwerfen von Gegenständen und Massen auch nur dort erlaubt, wo keine Personen davon getroffen werden können. Schon diese beiden Beispiele zeigen sehr gut, wie komplex die Einhaltung aller Vorgaben werden kann und wie wichtig daher die am besten permanente Anwesenheit von Sicherheitsbeauftragten ist. Eine Baustelle ist in der Regel ein Ort, an dem sich innerhalb kürzester Zeit viele Begebenheiten verändern. Es kann sich daher nicht dauerhaf t darauf verlassen werden, dass ein heute geprüfter Zustand auch morgen noch so vor Ort vorhanden ist. Wo gestern keine Person entlang gehen konnte und Holzbalken daher schnell zum Erdboden gewor fen werden konnten, kann heute schon ein Weg gebaut sein, über den Bauarbeiter*innen laufen. Wann sind Sicherheitsbeauftragte am Bau Pflicht? Wie bei jedem anderen Unternehmen auch, müssen Arbeitgeber*innen dann Sicherheitsbeauftragte am Bau ernennen, wenn ihr BauUnternehmen mehr als 20 Beschäftigte hat. Seit 1.01.2021 gilt die in der Bauwirtschaft überarbeitete Unfallverhütungsvorschrif t „Grundsätze der Prävention“, die besagt, dass sich nun auch im Bau die Anzahl der Sicherheitsbeauftragten im Unternehmen nach der Situation vor Ort und der jeweiligen Gefährdungsbeurteilung richtet und nicht mehr nur nach der Anzahl der Beschäftigten. Hierdurch kann es notwendig werden, dass Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten künftig eine höhere Anzahl von Sicherheitsbeauftragten im Bau benötigt. Gerade wenn sich die Beschäf tigten auf mehrere kleine Baustellen verteilen und die Gefährdungsbeurteilung für jede Baustelle gleich ist, kann es notwendig werden, für jeden Ort eine/n eigene/n Sicherheitsbeauf tragte*n zu ernennen. Durch die übliche Tätigkeit im Außendienst könnte sonst die Möglichkeit, sichmit dem/der Sicherheitsbeauftragten abzustimmen, für einen Teil der Beschäftigten beschränkt sein. Da in Baubetrieben im Schnitt fast doppelt so viele Beschäf tigte einen Arbeitsunfall erleiden, wie durchschnittlich in der Gesamtwirtschaft, und da solche Unfälle schnell folgenschwerer sind, empfiehlt es sich deutlich auch für kleinere Betriebe, Sicherheitsbeauftragte zu ernennen. Baubetriebe mit höchstens 20 Beschäftigten sollten also auch Sicherheitsbeauf tragte einsetzen. geruestbau.com Anzeige

14 Arbeitssicherheit Status von Sicherheitsbeauftragten Sicherheitsbeauftragte am Bau arbeiten als solche während ihrer normalen Arbeitszeit im Ehrenamt. Sie erhalten dafür keine zusätzliche Vergütung. Sie erhalten keine Führungsposition und keine Weisungsbefugnis, sondern sind und bleiben Kolleg*innen unter Kolleg*innen. In ihrem gewohnten Arbeitsumfeld gehören die Sicherheitsbelange des Unternehmens und seiner Mitarbeiter*innen zu einem Spezialgebiet der Sicherheitsbeauftragten. Die räumliche, fachliche und zeitliche Nähe zu den übrigen Kolleg*innen ist sogar wichtig, um überhaupt als Sicherheitsbeauf tragte tätig werden zu können. Ein gutes Verhältnis zur Geschäftsführung, zum SiGeKo, zur Fachkraft für Arbeitssicherheit, zumBetriebsrat und zu den Kolleg*innen ist insgesamt wichtig, denn sie müssen am Arbeitsplatz auf ein sicheres Verhalten ihrer Kolleg*innen hinarbeiten, ohne jedoch etwas anordnen zu können. Für ihre Tätigkeit dürfen ihnen keine Nachteile entstehen. Ausbildung zum Sicherheitsbeauftragten am Bau In der Ausbildung zum Sicherheitsbeauftragten am Bau wird im allgemeinen Teil auf die Arbeitsschutzmaßnahmen jeder Art eingegangen: worauf ist zu achten, wofür sind diese wichtig und wie können sie den Kolleg*innen vermittelt werden. Im speziellen Teil Bau wird dann auf die Arbeitssicherheitsvorgaben im Baubereich eingegangen und anhand konkreter Beispiele aufgezeigt, wie schnell im Alltag kleine Nachlässigkeit zu schweren Schäden führen können. Es gilt, Arbeitsunfälle zu verhüten und Berufskrankheiten vorzubeugen. Zudem werden umfangreiche Kenntnisse über Unfallgefahren auf dem Bau vermittelt, besonders beim Umgang mit Baugerüsten und -maschinen, über Baustellenplanung und -einrichtung, Entwicklung von Notfallplänen sowie bestimmungsgemäßer Einsatz der persönlichen Schutzausrüstung. Nach drei bis fünf Jahren sind zur Auf frischung des erlernten Wissens Weiterbildungen erforderlich, ansonsten auch schon bei Umorganisationen, erhöhter Gefährdungslage oder betrieblichen Änderungen. Die Ausbildung richtet sich nicht an Führungskräfte, Meister, Vorgesetzte oder andere Personen mit betrieblicher Verantwortung, sondern an Mitarbeiter*innen, die unter Kolleg*innen arbeiten und keine sonstige Weisungsbefugnis haben. Bestellen Sie unsere Online-Magazine und Bücher per App! Mit der kostenfreien App haben Sie direkten Zugriff auf alle Ausgaben Ihres Abos. www.bernheine-medien.de Anzeige

15 Arbeitssicherheit Sicherheitsbeauftragte zusätzlich zu Sicherheitsfachleuten Sicherheitsbeauftragte am Bau ersetzen keine Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa) oder Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinatoren (SiGeKo). Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinatoren sind von Bauherr*innen zu bestellen für Baustellen, auf denen gleichzeitig mehrere unterschiedliche Betriebe und Bauunternehmen tätig sind. Sie haben die Aufgabe, zwischen den Firmen und Gewerken untereinander für sichere Abläufe insgesamt zu sorgen. Sicherheitsbeauftragte arbeiten dagegen nur für das eigene Unternehmen, hauptsächlich als Bauarbeiter*in und nur zusätzlich als interne/r Sicherheitsbeauftragte*r. Hier ist die konkrete Gefährdungsbeurteilung des eigenen Unternehmens von Bedeutung sowie die konkreten Gesundheits- und Unfallgefahren vor Ort. Nur der/die eigene Sicherheitsbeauftragte kann hier die Anforderungen an die räumliche, zeitliche und fachliche Nähe erfüllen, denn der/die SiBe ist im selben Arbeitsbereich und am selben Standort tätig wie die übrigen Beschäftigten. Zudem ist er/ sie zur selben Zeit auf der Baustelle wie die übrigen Bauarbeiter*innen und macht ähnliche oder verwandte Arbeiten. Als Interne*r kennt er/sie jeden Beschäftigten und erkennt sie im Zweifelsfall sogar von hinten, oben oder an der Stimme. Vorteile von Sicherheitsbeauftragten am Bau Die Vor teile von Sicherheitsbeauf tragten am Bau liegen auf der Hand. Obwohl sie gleichrangige Kolleg*innen sind, haben sie permanent ein Auge auf die sicherheitsrelevanten Belange auf der Baustelle. Sie weisen ihre Kolleg*innen in einer der Situation angepassten Art und Weise auf die Beachtung der Sicherheitsregeln hin. Damit sind sie das wachsame Auge vor Ort, welches teamintern für mehr Sicherheit sorgt. Gleichzeitig machen sie sich jeden Tag ein Bild von den Abläufen auf der jeweils aktuellen, konkreten Baustelle. Sie können dadurch sachlich neutral, mit wertvoller Detailtiefe auf Missstände hinweisen, aber auch bei Risikobewertungen und Baustellenbegehungen ohne Namen nennen zu müssen, die Erfahrungen von vor Ort an die Geschäftsführung weitergeben. Vor Ort werden sie schnell zur ersten Anlaufstelle für die Bauarbeiter*innen in allen Fragen zur Sicherheit. → Weitere Informationen SicherheitsIngenieur.NRW • Donato Muro Grüner Weg 56 • 40229 Düsseldorf d.muro@sicherheitsingenieur.nrw https://sicherheitsingenieur.nrw/ → Zum Autor Donato Muro ist studierter Jurist, angehender Arbeitspsychologe, Ingenieur, Naturwissenschaftler und mehrfacher Firmeninhaber. Seine Kompetenzen liegen im Sicherheits- und Brandschutzbereich in der Chemie. Er möchte den Arbeitsschutz so einfach und verständlich wie möglich vermitteln, um rechtssicheres Handeln zu fördern.

16 Recht Koordination zwischen Praxis und Recht Was Sie schon immer über die Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordination nach Baustellenverordnung wissen wollten. Folge 3: Die Qualifikation des „geeigneten Koordinators“. Den/die Geschäftsführer*in eines Dienstleisters für Arbeits- und Gesundheitsschutz mit Schwerpunkt Koordination nach Baustellenverordnung beschäftigen in den Phasen der Akquise und Durchführung von SiGeKo-Leistungen immer wieder rechtliche Fragestellungen, insbesondere bzgl. Verantwortung und Haftung. Was gilt es zu beachten, damit entsprechende Risiken minimiert und vielleicht frühzeitig ausgeschlossen werden können? Hieraus entwickelten sich in den letzten Jahren eine Reihe von bisher ungeklärten Fragen. Der Jurist Guido Meyer, der sich seit Inkrafttreten der Baustellenverordnung mit rechtlichen Themen und Haftungsrisiken bei der Ausübung der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordination beschäftigt, stellt sich den Fragen von Carsten Kuschel nach der sinnvollen und praxisgerechten Umsetzung. Gemeinsam diskutieren Sie hier und in den kommenden Ausgaben verschiedene Aspekte des Arbeitsschutzes auf Baustellen, insbesondere der Koordination nach der Baustellenverordnung, aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Carsten Kuschel: Nachdem wir in den letzten beiden Ausgaben das Leistungsbild und die Befugnisse von Koordinator*innen diskutiert haben, beschäftigen wir uns heute mit den Fragen, wer ist überhaupt für diese sehr anspruchsvolle Tätigkeit geeignet und wer steht hier in der Verantwortung bei der Auswahl dieser Personen. Die Verwirrung war 1998 groß, als plötzlich die Baustellenverordnung auf den Markt kam und ab dem 01.07.1998 für Baustellen verpflichtend wurde. Es war zumindest klar, dass es nun mit dem/der Bauherr*in, stat t wie Jahrzehnte gewohnt dem/der Arbeitgeber*in, eine/n neue/n Adressat*in einer Arbeitsschutzvorschrift gibt und diese/r bereits in der Planungsphase eine/n oder mehrere geeignete Koordinator*innen bestellen muss, wenn Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber*innen tätig werden. Während sich zumindest eine grobe Leistungsbeschreibung dieser neuen Funktion im § 3 der Verordnung fand, gab es hinsichtlich der Eignung viele offene Fragen und Diskussionen. Heute, im 25. Jahr der Baustellenverordnung, haben sich die Handlungselemente SiGe-Plan und Unterlage für spätere Arbeiten etabliert und die Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen (RAB 31 und 32) geben hier schon lange Zeit die inhaltlichen Mindestanforderungen vor. Die erforderliche Qualifikation von Koordinator*innen Rechtsanwalt Guido Meyer

17 Recht ist seit 2003 in der RAB 30 „Geeigneter Koordinator“ nachzulesen und gibt den Stand der Technik bezüglich Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen wieder, so steht es zumindest in der dortigen Einleitung. In der Praxis gibt es allerdings, so meine Erfahrung, bei Ausschreibungen und der Begleitung von Projekten, immer wieder andere Meinungen und unterschiedlichste Auslegungen. Guido Meyer: In der Tat macht die RAB 30 sehr detaillierte Vorgaben zur Qualifikation von Koordinator*innen und hat auch recht konkrete Vorstellungen von den Inhalten einer „Ausbildung eines Koordinators“. Hier kann man nur sagen: Es handelt sich um „Empfehlungen“, die nicht verbindlich sind. Ich hatte hierauf schon im Zusammenhang mit dem Leistungsbild zu Anfang unserer Gesprächsreihe (vgl. Folge 1 in agbau 01.2022, S. 14 ff.) hingewiesen. Ich selbst halte die Inhalte der RAB 30 für weitgehend nachvollziehbar und schlüssig, soweit man dies als Jurist beurteilen kann und sollte. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass eben auch Abweichungen von den „Vorgaben“ der RAB möglich und im Einzelfall auch sinnvoll sein können. Ob diese heute so den Stand der Technik darstellen, lässt sich nur durch eine übergreifende Bewertung des arbeitsschutztechnischen Diskurses ermitteln und ist im Zweifel – gerade im Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung – eine Frage, die ein/e Sachverständige*r zu beantworten hätte. Carsten Kuschel: Unabhängig vom Alter der Arbeitsschutzregeln, gilt hier nicht trotzdem der Grundsatz der Vermutungswirkung, d. h., bei Einhaltung der Technischen Regeln, kann der/die Arbeitgeber*in, oder in diesem Fall der/die Bauherr*in, davon ausgehen, dass die zugrunde liegenden Forderungen der Gesetze und Verordnungen erfüllt werden? Bei einer Abweichung von der Regel ist die Sicherheit und auch der Gesundheitsschutz dann auf eine andere Art und Weise zu gewährleisten bzw. nachzuweisen – und zwar mit gleichbleibendem Schutzniveau. Guido Meyer: So viel lässt sich aus rechtlicher Sicht allerdings sagen: Eine echte „Vermutungswirkung“, die der/die „Adressat*in“ der Baustellenverordnung dann zwingend widerlegen müsste, um sich rechtskonform zu verhalten, können die Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen nicht entfalten. Das unterscheidet die RAB von anderen Technischen Regeln zum Arbeitsschutz, etwa im Bereich des Arbeitsstättenrechts. Dies hängt mit der fehlenden „ErmächtigungsCarsten Kuschel, Geschäftsführender Gesellschafter der Mplus Managementgesellschaft mbh

18 Recht grundlage“ für die RAB zusammen. Ihre Wirkung ist daher aus rechtlicher Sicht erheblich schwächer als bei sonstigem technischen Regelwerk im Arbeitsschutz unterhalb der Verordnungsebene. Carsten Kuschel: Warum gibt es für die RAB keine Ermächtigungsgrundlage? Wurde nicht damals auf Grundlage des § 18 Abs. 2 des Arbeitsschutzgesetzes ein Ausschuss für Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (ASGB) gebildet, der die Regeln erarbeitet und aufgestellt hat? Diese wurden dann sukzessive im Bundesarbeitsblatt vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bekannt gegeben. Wo liegt denn der Unterschied zu dem sonstigen Regelwerk, beispielsweise den Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) oder Gefahrstoffen (TRGS)? Können Sie das bitte nochmal genauer erläutern? Guido Meyer: Die Regelung des § 18 Abs. 2 ArbSchG stellt eine Ermächtigungsgrundlage dar, um Verordnungen zum Arbeitsschutz zu erlassen. Die Ermächtigung besteht zu Gunsten der Bundesregierung, die diese durch ihre Fachministerien nutzt. Konkret war hier eigentlich § 19 ArbSchG einschlägig, der im Zusammenhang mit § 18 ArbSchG eine Ermächtigungsgrundlage für die Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft in nationales Recht in Form von Rechtsverordnungen schafft. Hintergrund der Baustellenverordnung war bekanntlich die Richtlinie 92/57/EWG, die seinerzeit in deutsches Recht zunächst „transformiert“ werden musste. EG-Richtlinien haben keine unmittelbare Wirkung im nationalen Recht, sondern bedürfen einer derartigen Umsetzung. Die Umsetzung der Richtlinie 92/57/ EWG erfolgte aber gerade durch die Verabschiedung der Baustellenverordnung. Damit war die Ermächtigungsgrundlage des § 19 ArbSchG praktisch „aufgebraucht“. Hätte der Verordnungsgeber einen Ausschuss für den Erlass von „Regeln“ einsetzen wollen, so hätte er dies in der Baustellenverordnung selbst vorsehen müssen. Im Rahmen anderer Verordnungen zum Arbeitsschutzrecht ist dies auch ausdrücklich erfolgt. So sieht etwa § 7 ArbStättV die Bildung eines entsprechenden Ausschusses und dessen Aufgaben vor, etwa den Erlass von „Regeln“ (den ASR). In der Baustellenverordnung ist aber die Bildung eines derartigen Ausschusses nicht vorgesehen worden. Wie orientieren Sie sich denn hier in diesem Bereich? Legen Sie die RAB 30 als Grundlage für die Qualifikation Ihrer Mitarbeiter*innen als Maßstab an oder betrachten Sie sich hieran sogar gebunden? Carsten Kuschel: Das ist ganz einfach zu beantworten. Ja, wir orientieren uns sowohl an dem Leistungsbild als auch an den Qualifikationsanforderungen der RAB 30 „Geeigneter Koordinator“. Abweichungen davon sind Ausnahmen und können mit entsprechenden Nachweisen (Werdegang, Referenzen, Aus-/ Weiter-/Fortbildungen) begründet werden. Wir achten auf ausreichende Berufserfahrung, soziale Kompetenzen, die Ausbildung gemäß RAB 30 Anlage C „Spezielle Koordinatorenkenntnisse“ und setzen nur ausgebildete Fachkräfte für Arbeitssicherheit ein. Dazu erfolgen regelmäßige Erfahrungsaustausche und 5-8 Tage Fortbildungen im Jahr in bau- und arbeitsschutzfachlichen Themen (z. B. Gerüste, Schalungsbau, Spezialtiefbau,

19 Recht Gefahrstoffe und Altlasten). Als Geschäftsführer liegt mir natürlich viel daran, für unsere Auftraggeber*innen, unsere Firma, den Führungskräften und natürlich für unser Mitarbeiterteam die größtmögliche Rechtssicherheit zu gewährleisten. Im Schadensfall möchte ich keine Diskussionen mit Sachverständigen oder unserer Haftpflichtversicherung führen müssen, ob unsere eingesetzten Koordinator*innen geeignet waren oder nicht. Im Übrigen würde ich als Bauherr oder verantwortlicher Dritter überhaupt keine Kompromisse eingehen wollen. Im Gegenteil, wenn man sich nur vor Augen führt, dass in der RAB 30 lediglich mindestens 2 Jahre Berufserfahrung in Planung und/oder Ausführung je nach Koordinationsaufgabe vorgegeben werden, wundert mich, dass genau dieser Wert, wenn er überhaupt abgefragt und bewertet wird, in den meisten öffentlichen Ausschreibungen zu finden ist. Also auch für anspruchsvolle Großprojekte mit mehreren 100 Mio. Euro Baukosten. Da würde ich für mein Bauvorhaben strengstens auf die Anforderungen der RAB 30 setzen und die Berufserfahrung je nach Projekt nach oben anpassen und ggf. auch zusätzliche Ausbildungen und Kenntnisse einfordern. Ein bisschen mehr Qualität kann dem Ziel der Baustellenverordnung, „der wesentlichen Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz“, sicherlich nicht schaden. Im Februar letzten Jahres gab es zu der Qualifikation von Koordinator*innen ein sehr interessantes Schreiben des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren in Schleswig Holstein. Kern des Schreibens war die Auffassung, dass die Koordination von Bauvorhaben der Stufe II (RAB 30 Anlage A) ausschließlich Ingenieur*innen und Architekt*innen vorbehalten sei. Zitat: „Nur in besonderen, seltenen Ausnahmefällen ist denkbar, dass auch eine Person ohne Hochschulabschluss ein geeigneter SiGeKo für andere Planungs- und Baumaßnahmen als solche der Stufe 1 sein kann, sofern diese Person über außergewöhnliche Sachkunde verfügt, Anzeige www.peri.de Schalung Gerüst Engineering Mit PERI in die digitale Zukunft des Gerüstbaus. Vom Kundenportal myPERI über die 3D- Gerüstplanung bis hin zur Unterstützung beim Building Information Modeling (BIM): Unsere digitalen Lösungen helfen Ihnen dabei, Ihre Ziele noch schneller zu erreichen. www.peri.de/geruest-digital Gerüstet für die digitale Zukunft. Mit PERI als Partner.

20 Recht die auch aus dem jeweiligen Lebenslauf hervorgeht.“ Im Zusammenhang zu der von uns vorher diskutierten Verbindlichkeit der Regeln für Arbeitsschutz auf Baustellen (RAB) stellt das Ministerium sich auf den Standpunkt, dass die Regeln weiterhin den Stand der Technik widerspiegeln und nur in begründeten Einzelfällen davon abgewichen werden darf. Guido Meyer: Die Auffassung des Ministeriums ist für mich wirklich nicht nachvollziehbar. Es ist daher aus meiner Sicht gut und richtig, dass der Verband der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinatoren (VSGK) als Interessensvertretung der Koordinator*innen dieser auch entschieden entgegengetreten ist. Carsten Kuschel: Dem Schreiben des VSGK, das auch vom VDSI unterstützt wurde, folgte ja bekanntlich eine Antwort des Ministeriums, in der nach eingehender juristischer Prüfung, die vorherige Auffassung nochmals bestätigt wurde. Wie kann sich dieses Schreiben und die Auffassung des Ministeriums auf die zukünftige Rechtsprechung auswirken? Guido Meyer: Nach meiner Einschätzung hat auch das Ministerium seine Auffassung letztlich nicht völlig absolut gesetzt, sondern in begründeten Fällen Ausnahmen zugelassen. Aber dessen ungeachtet: Interessant ist, dass es bislang keine maßgebliche obergerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Eignung von Koordinator*innen gibt. Einfluss auf etwaige zukünftige Rechtsprechung dürfte die Auffassung des Ministeriums in Schleswig-Holstein nicht haben. Dies gilt unabhängig davon, ob es nun einen Fall in Schleswig-Holstein oder anderswo betrifft. Gerichte sind an derartige Stellungnahmen nicht gebunden und müssen eine eigenständige Rechtsprüfung vornehmen. Mich hat vor diesem Hintergrund auch etwas verwundert, dass letztlich die Stellungnahme zu einem Einzelfall in einem Bundesland unter den in der Koordination Tätigen für eine derartige Aufregung gesorgt hat. Worauf ist dies nach ihrer Einschätzung zurückzuführen? Carsten Kuschel: Seit über 30 Jahren beschäftige ich mich intensiv mit Arbeitsschutz und seit Inkrafttreten der Baustellenverordnung 1998 auch mit der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordination auf Baustellen. Und auch 2022 fällt mir auf, dass die Qualität der Leistungen der auf dem Markt tätigen Koordinator*innen weiterhin stark verbesserungswürdig ist. Oftmals fehlt die baufachliche Fachkunde oder auch mangels sozialer Kompetenz das generelle Rollenverständnis. Was heißt überhaupt Koordination? Viel zu oft sieht man Protokolle, die lediglichMängel in Form von Bilddokumentationen beinhalten. Statt präventiv und vorausschauend zu koordinieren, zu informieren und die Beteiligten zusammenzubringen ist weiter korrektives Verhalten erkennbar. Koordination gemeinsam genutzter Sicherheitseinrichtungen bereits in der Planungsphase – Fehlanzeige. Als ich das Schreiben vom Ministerium gelesen habe, dachte ich, na endlich bringt da mal jemand etwas Schwung in die Sache und es entsteht vielleicht ein konstruktiver Austausch, wie man gemeinsam zu mehr Qualität beitra-

21 Recht gen kann. Dann war ich von dem Schreiben des Verbandes doch überrascht. Nicht unerwähnt lassen sollten wir an dieser Stelle die weitere Begründung des Ministeriums für die Auffassung, die Qualifikationsanforderungen der RAB 30 zu bestätigen: „Bei Kontrollen von Bauvorhaben der Stufe 2 stellen die Staatliche Arbeitsschutzbehörde und die BG BAU auffällig häufig grundlegende Mängel fest, die vor allem mit einer nicht ausreichenden baufachlichen Qualifikation der SiGeKo in Zusammenhang stehen, Tendenz steigend. Das macht aus unserer Sicht eine entsprechende Information an die an Bauvorhaben beteiligten Akteure sinnvoll und notwendig.“ Woher kommt al so di e Auf regung der Koordinator*innen und Dienstleister*innen, vertreten durch den VSGK? Auf die Gefahr, dass ich mich hier unbeliebt mache, aber meiner Einschätzung nach sieht vermutlich der ein oder andere sein „Geschäftsmodell“ gefährdet, wenn es zukünftig heißt, wir als Bauherr*in halten uns verbindlich an die RAB und prüfen intensiv die Qualifikationen nach Anlage A+B+C der RAB 30 „geeigneter Koordinator“. Wer haf tet denn, wenn es zum Schaden kommt und ein/e nachweisbar ungeeignete/r Koordinator*in durch mangelhafte Koordination dazu beigetragen hat? Wer muss sich da alles Sorgen machen, der/die Bauherr*in bzw. ve r an t wo r t l i che Dr i t t e , de r / d i e Geschäftsführer*in des Dienstleisters, oder auch der/die Mitarbeiter*in des Dienstleisters/ Arbeitsschutzbüros? Guido Meyer: Kommt es zu einem Schadensfall, der vermeintlich auf einer fehlenden Koordinatoreneignung beruht, wird bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung zunächst das Gericht zu klären haben, ob der/ die Koordinator*in geeignet im Sinne der BaustellV war. Nach § 3 Abs. 1 BaustellV sind ausdrücklich für Baustellen, auf denen Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber*innen tätig werden, „ein oder mehrere geeignete Koordinator*innen zubestellen“. Es reicht also nicht aus, dass „irgendwie irgendjemand“ als Koordinator*in bestellt wird. Diese/r muss ausdrücklich auch geeignet sein. Trotz der missverständlichen Regelung in § 3 Abs. 1a BaustellV, wonach durch die Beauftragung des/der Koordinator*in der/die Bauherr*in „nicht von seiner/ihrer Verantwortung entbunden“ wird, besteht Einigkeit darüber, dass es zu einer Verlagerung der Pflichten und damit der Verantwortung kommt, wenn der/die Bauherr*in eine/n geeignete/n Koordinator*in beauftragt. Die Pflichten nach § 3 Abs. 2 und 3 BaustellV sind dann „originäre Koordinatorenpflichten“. Ist der/die Koordinator*in schlichtweg ungeeignet, so liegt schon keine sachgerechte Aufgabenübertragung vor, so dass der/die Bauherr*in verpflichtet bleibt, die Aufgaben nach § 3 Abs. 2 und 3 BaustellV selbst wahrzunehmen. Tut er/sie dies – was dann ja abzusehen ist – gleichwohl nicht, so sind die Aufgaben des/der Koordinator*in in der Planungsphase bzw. Ausführungsphase letztlich nicht sachgerecht erbracht. Carsten Kuschel: Welche Strafen kann es nach sich ziehen, eine/n ungeeignete/n Koordinator*in zu beauftragen bzw. zu bestellen?

22 Recht Guido Meyer: Allein die Tatsache, eine/n ungeeignete/n Koordinator*in bestellt zu haben, führt nach § 7 BaustellV nicht zu einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat des/ der Bauherr*in. Die BaustellV knüpf t ihre speziellen Tatbestände dort nur an das Unterlassen der Übermittlung der Vorankündigung und der Erstellung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes an. Es ist nur auf den ersten Blick überraschend, dass hier die Bestellung von Koordinator*innen nicht erfasst wird. § 3 Abs. 1 S. 2 BaustellV lässt es ja ausdrücklich zu, dass kein/e „Externe*r“ als Koordinator*in bestellt wird, sondern der/ die Bauherr*in diese Aufgaben selbst wahrnimmt. Unterlässt der/die Bauherr*in daher die Bestellung des/der Koordinator*in, ist er/sie nach der Systematik der Verordnung selbst Koordinator*in. Das kann dann logischerweise auch nicht eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat darstellen. Dies schlägt auch auf die Bestellung eines/einer „ungeeigneten“ Koordinator*in durch: Ist schon die völlig unterlassene Bestellung eines/einer Koordinator*in nicht strafbewehrt, kann es auch die Bestellung eines/einer „Ungeeigneten“ nicht sein. Der/die Bauherr*in muss nur dann eben in sonstiger – gerade auch zivilrechtlicher – Hinsicht akzeptieren, zumindest so behandelt zu werden, als ob er/ sie selbst der/die Koordinator*in wäre. Dies hatten wir ja gerade gesehen. Carsten Kuschel: Vielen Dank Herr Meyer. Die Zeit ist leider schon wieder um, obwohl ich noch einige Fragen hier auf dem Zettel stehen habe. Beispielsweise die Risiken nachfolgender Zivilprozesse im Zusammenhang mit der unzureichenden Eignung eines/einer Koordinator*in oder eine mögliche Auswahlverpflichtung des Dienstleisters, welcher den/ die Koordinator*in stellt. Vielleicht können wir später, in einer anderen Ausgabe, nochmals daran anknüpfen. Heute können wir, glaube ich, festhalten, dass die Auswahl eines/einer geeigneten Koordinator*in keine leichte Aufgabe ist und dies einem sehr sogfältigen Auswahlprozess unterliegen sollte. Inwieweit die RAB 30 heute noch den Stand der Technik widerspiegelt und ebenso zur Rechtsicherheit beitragen kann, ist auch durch das Schreiben des Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren in Schleswig Holstein nicht eindeutig geklärt. Wünschenswert wäre sicherlich eine zeitnahe Aktualisierung der Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen, denn diese sind seit 2003 nicht mehr angepasst worden. In diesem Jahr flog zum letzten Mal eine Concorde von Paris nach New York, Greta Thunberg wurde geboren, Johannes Rau war Bundespräsident und das iPhone musste noch 4 Jahre auf seine Erfindung warten! Das nächste Thema ist jedenfalls nicht minder spannend, denn wir sprechen über den/die beauftragte/n bzw. verantwortliche/n Dritte/n. → Zu den Autoren Carsten Kuschel ist geschäf tsführender Gesellschafter der Mplus Managementgesellschaft zur Optimierung von Arbeitsbedingungen mbH in St. Augustin Guido Meyer ist Rechtsanwalt und Head of Legal der Art-Invest Real Estate Management GmbH & Co. KG in Köln.

23 Meldungen Assistenzsystem geprüft Neues DGUV Test Prüfzeichen eingeführt Nach den Arbeitsschutzvorschriften ist ein Rückwärtsfahren mit Müllsammelfahrzeugen im Regelfall unzulässig, in der Praxis lässt es sich jedoch nicht immer vermeiden. Dass hierbei niemand gefährdet wird, stellt eine besondere Herausforderung für das Fahrpersonal dar, selbst wenn eine zweite Person als Einweisende unterstützt. Rückfahrassistenzsysteme (RAS) helfen, Unfällen vorzubeugen. Ein neues DGUV Test Prüfzeichen weist jene Systeme aus, die optimal und zuverlässig beim Rangieren unterstützen und die Anforderung an die Sicherheit und den Gesundheitsschutz erfüllen. Bis April 2019 entstanden die DGUV Test Prüfgrundsätze GS-VL-40 "Rückfahrassistenzsysteme für Nutzfahrzeuge". Ein wichtiger Anforderungsaspekt: Das RAS soll über ein Kamera-Monitor-System eine weitreichende Sichthilfe bieten und zudem den rückwärtigen Raum selbsttätig überwachen sowie bei Kollisionsgefahr warnen. Bereits vor der Veröffentlichung der Prüfgrundsätze meldete sich das erste Hersteller-Unternehmen. Das System, das zur Prüfung stand, beruht auf einer komplexen Technik auf der Basis optischer Sensoren. Es zeichnet sich dadurch aus, dass Objekte automatisch erkannt und bewertet werden. Um dem Hersteller zu ermöglichen, sein RAS als zertifiziertes Produkt auszuweisen, wurde das neue DGUV Test Prüfzeichen "Assistenzsystem geprüft" entwickelt. Alle RAS, die von DGUV Test geprüft und zertifiziert werden, dürfen damit zukünftig gelabelt werden. Abhängig von weiteren sektorspezifischen Anforderungen kann das neue Prüfzeichen auch bei anderen Arten von Assistenzsystemen vergeben werden. Die Bedeutung von RAS wird wachsen Im Jahr 2021 wurde eine neue Richtlinie der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) erlassen, wonach alle PKW- und Nutzfahrzeuge mit Rückfahrassistenzsystemen ausgerüstet werden müssen. Seit Mitte 2022 ist das für neue Fahrzeugtypen und ab Mitte 2024 für alle Neufahrzeuge verpflichtend. Geeignete RAS für die konkreten Einsatzbedingungen zu finden und auszuwählen, wird dabei den Unternehmen selbst obliegen. Die DGUV Test Prüfgrundsätze und das dazugehörige Prüfzeichen "Assistenzsystem geprüft" geben eine Auswahlhilfe und unterstützen die Unternehmen bei dieser Entscheidung. Doch auch das beste RAS entbindet das Fahrpersonal nicht von seiner besonderen Verantwortung, sich gemäß der geltenden straßenverkehrsrechtlichen und betrieblichen Vorschriften zu verhalten. Wie wichtig es ist, Produkte und Maschinen zu prüfen und zu zertifizieren, bevor Menschen mit und an ihnen arbeiten, zeigt auch diese Statistik zu ermittelten Sicherheitsmängeln (https://www.dguv.de/dguv-test/aktuelles/2022/2022_details_488772.jsp). Quelle: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung – DGUV

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